Markus Heitz

Weihnachten und so!

Weihnachten, Neujahr, 2026.

Die übliche Reihenfolge – und ich sage an dieser Stelle DANKE an alle Leserinnen und Leser. Für’s Lesen und für die Unterstützung in 2025, was beides nicht selbstverständlich ist.
Wir Autorinnen und Autoren rangeln mit den Gegebenheiten des Marktes, bedienen ihn oder absichtlich nicht, manche rangeln dabei noch mit sich selbst, mit Sichtbarkeit, neuerdings mit KI. So viele Faktoren, die sich auf das Schreiben auswirken können.
Da tut Zuspruch in jeglicher Form gut, sei es durch Likes, Rezensionen (gute wären gut, hüstel) oder eben Käufe.
Ich für meinen Teil habe den Spaß am Erzählen von Geschichten nicht verloren. Wäre ja noch schöner!
Mein „YEAH… YEAR OF HORROR“ hat in 2025 mit DEATH DNA angefangen und geht schon im Januar mit VERLORENER KURS direkt weiter.
Danach folgen RIPPER’S DAUGHTERS und im Herbst ein weiteres feines düsteres Werk. Aus den üblichen dramaturgischen Gründen verrate ich dazu noch nichts. 😉
Auch Irida bekommt in 2026 zwei Bände.
Und ja, ich habe weitere Pläne. Überraschung! 😀
Mein Projektplan hat sich bis 2027/28 gefüllt, und da rollt einiges an: Kinderbücher, Horror mit einem gewissen Bestatter (Augen auf bei Ripper’s Daughters…) und weitere Storys.
Ich schreibe und ihr lest, wenn ihr wollt.
Nochmals danke für die Unterstützung in diesem Jahr und in vielen Jahren davor.
Apropos Spaß am Erzählen! Im Anschluss die … etwas andere Weihnachtsgeschichte (unredigiert, unlektoriert).
Kommt gut rüber nach 2026, nutzt die Raunächte und wünscht euch nichts, was ihr nicht wirklich haben wollt… Muhahaha!
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Der große Weihnachtszirkus

Schon beim Betreten des muffigen Zeltes war sich Gina nicht mehr sicher, die richtige Wahl getroffen zu haben.
Dabei hatte es im Prospekt sowie Internet sehr gut geklungen und ausgesehen.

„Genießen Sie den großen Weihnachtszirkus – die biblische Geschichte mit Menschen, Tieren, Sensationen!

Besser als Cirque du Soleil, besser als Flic Flac und besser als das Circus Festival Monte Carlo!

Gina hatte sich beim Familienrat sehr dafür eingesetzt, die Show zu besuchen, die einmal etwas anderes war und das Beste aus beiden Welten verband: Zirkus und Weihnachtsgeschichte, aber modern dargeboten und nicht mit den elend langweiligen Krippenspielen.
Misstrauisch besah Gina sich die morschen vollbesetzten Bänke, die wie in einem Amphitheater Rang um Rang in die Höhe gingen. Zusammen mit ihren zwei Kids Phoeby und Leon, Gatte Lukas sowie zwei weiteren befreundeten Familien würden sie ganz vorne sitzen. An der Manege.
Ansonsten unterschied sich der Weihnachtszirkus nicht von anderen, nur dass alles sehr alt wirkte. Holzpfosten stemmten das fleckige Zeltdach empor, faserige Seile hielten und spannten die Gestänge. Der Geruch von feuchten gammeligen Sägespänen mischte sich mit Schimmel und Popcorn.
Zwei Verkäufer, die biblisch anmutende Gewandungen und Sandalen trugen, priesen raschelnde Tüten als „Manna“ an, außerdem murmelte einer was von Ozelotnasen und Kiesel für die Kleinsten. Für eine Steinigung. Beides gab es jedoch nicht zu Ginas Erleichterung im Angebot. Ein Scherz.
„Schnell setzen“, scheuchte sie die Gruppe. „Es geht gleich los.“
Im dünner werdenden Scheinwerferlicht stolperten sie zu ihren Sitzen und schafften es gerade noch, vor der Manege Platz zu nehmen.
„Und es begab sich zu einer Zeit, dass Maria und Joseph nach Bethlehem reisten, um sich zählen zu lassen“, sagte eine Off-Stimme huldvoll.
Der Scheinwerfer zog auf und beleuchtete einen Joseph in einer knallengen weißen Spandexunterhose – und sonst nichts. Maria trug Sportunterwäsche und einen dicken Bauch unter einem gewickelten Tuch.
„Ihre Reise war beschwerlich, denn sie war schwanger“, offte es.
Maria wickelte ihren Bauch aus – der sich als Ball entpuppte, auf dem JESUS geschrieben stand, und begann mit Joseph zusammen eine moderne Turn- und Balancenummer.
„Mich erinnert das irgendwie an Beckenbodenübungen“, raunte eine Frau hinter ihnen.
„Mich an Kamasutra. Aber in falsch“, gab ein Mann leise zurück.
Gina fand den Anblick von sich windenden, verwickelnden heiligen Figuren verstörend. „Also, denke mehr an Twister“, murmelte sie.
„Aber ohne die Farben“, krähte Phoeby.
„So was ähnliches haben Mama und Onkel Heribert letzte Woche auch gemacht. Neben dem Weihnachtsbaum“, steuerte ein Kind zwei Reihen dahinter bei. „Aber sie haben andere Geräusch gemacht. Wie ein Esel und eine Maus.“
Leises Lachen der Umsitzenden kam auf, und jemand zischte hektisch immer „pschd, pschd“.
Währenddessen wechselte das Bühnenbild im Hintergrund, und eine Reihe aus schiefen und krummen Häusern wurde sichtbar.
„Sie wollten in einer Herberge übernachten. Aber die waren schon voll. Mit den Flüchtlingen aus …. Sodom und Gomorra!“, sprach das Off getragen.
Joseph, Maria und Ball-Jesus turnten sich in die Szene – schlagartig wurde es hell.
Über den Gebäuden flammte „Bethlehem Tittytwister“ auf, und aus den Häusern eilten Stripperinnen und Stripper, die sofort loslegten und lasziv um das Paar hüpften. Es hüpfte wirklich alles. In Hosen und unter Shirts. Sogar der Jesus-Ball.
Dazu tauchten Sängerinnen und Sänger auf. Es wurde gestrippt, mit Klamotten um sich geworfen und das glorreiche Jesuskind besungen. Das Lied mäanderte in einer Mischung aus Gospel, peitschenden Beats und schweren Gitarrenriffs. An zwei Pole-Stangen, die einem Kreuz nicht unähnlich waren, schwangen und schleuderten ein leicht bekleideter Herr und eine Dame. Sie hieß Gesmas, er Dismas, laut den Namen auf der Glitzerunterwäsche.
„Also, das… äh…“, sagte wieder die Frau hinter Gina fassungslos.
„Ich hab irgendwo noch 5er. Die kann ich dem Jupp in die Hose stecken. Oder der Rothaarigen da drüben. Das ist bestimmt Maria Magdalena!“, murmelte Ginas Mann Lukas vorfreudig. Er pfiff durch die Finger. „Komm mal her, Sünderin!“, rief er. „Ich hab Schlüppigeld!“
„Mama, das ist aber ganz anders wie in der Bibel. Oder … im Fernsehen“, stellte Leon fest.
„Tittytwister. Das sagt mir irgendwas“, überlegte ein junger Mann schräg neben ihnen laut.
„From Dusk til Dawn“, löste dessen Begleiterin auf. „Gleich kommen die Weihnachtsvampire.“
Wieder lachten die Menschen in Hörweite.
Nach sehr langen zehn Minuten endete der anzüglich-ausziehende Spuk. Es wurde wieder dunkel um den Bethlehem Tittytwister, und der Scheinwerfer beleuchtete einen schäbigen kleinen Stall.
Der verdächtig nach einer ausrangierten Bushaltestelle aussieht, wie Gina dachte. Ihr kam in den Sinn, dass vor kurzem eine im benachbarten Ort gestohlen worden war.
„Da sie keinen Platz fanden, suchten sie ihr Lager in einem Stall“, kommentierte die Off-Stimme.
Ball-Jesus wurde mehrmals aufgeditscht und durch einen Basketballkorb über dreißig Meter in die Krippe gefeuert, während Maria aus dem umherliegenden Stroh anfing, Sterne, Figürchen und andere Sachen zu basteln.
Joseph tanzte derweil expressiv um sie herum und benahm sich wie ein irrer Pantomime.
„Stell die Frage nicht“, raunte Gina ihrem Mann warnend zu.
„Welche?“ gab Lukas grinsend zurück. „Ach, so: Warum liegt da Stroh in der Ecke?“
Die Stallidylle wurde aus dem Bild geschoben. Stattdessen stürmten gefühlt hundert Schafe blökend die Manege, umschwärmt von zwei bellenden Hütehunden und zwanzig Hirten, die immer wieder pfiffen und riefen.
„Und in der Nähe, da hüteten die Hirten ihre Herden“, schrie das Off durch das Getöse.
Sofort begann eine Schafdressurnummer, bei der die Tiere sich aufeinanderstapelten, Pyramiden bildeten, durch brennende Reifen sprangen, ohne verpuffend in Flammen aufzugehen, als wäre Shaun das Schaf real geworden.
Eins der Schafe fraß geschickt das Popcorn aus den Tüten der Leute in den ersten Reihen, sodass umgehend neues gekauft werden musste.
„Clevere abgerichtete Biester“, murmelte Gina.
Ein anderes Schaf steckte seine Wolle absichtlich an einem Reifen in Brand und drehte sich rasend schnell im Kreis, was es zu einer riesigen, flammenden Christbaumkugel werden ließ. Als die Hirten es mit dem Feuerlöscher abduschten, sah es sehr geschoren aus.
„Boah, das duftet wundervoll“, kommentierte Lukas den veränderten Geruch im Zelt. „Machen wir Lamm dieses Jahr?“
Erneut traf gleißendes Licht von oben auf die Manege. Über den Köpfen von Schafen und Menschen schwangen sich drei sehr, sehr korpulente Männer mit winzigen Schwingen an langen Leinen vor und zurück.
„Und die Engel des Herrn verkündeten ihnen die große Freude“, lautete die Erklärung aus dem Off.
Die drei Putten entpuppten sich als Trapez-Nummer, wobei man ständig Angst hatte, dass etwas brach oder riss. Doch die dicken Engel waren geschickt und schwitzten dabei malerisch auf die Besucherinnen nieder.
„Das ist schon bisschen eklig“, murmelte Gina und wich den Tropfen aus, so gut es ging.
Eine Oma spannte ihren Schirm auf und entriss einem Schaf ihre Handtasche, mit dem das Tier hatte stiften gehen wollen.
Quietschend kam der Bushaltehäuschen-Stall zurück ins Bild geeiert, die Schafe eilten blökend und mähähähend um ihn herum.
„Da erschienen drei Weise aus dem Morgenland, und sie brachten Gold, Myrrhe und Weihrauch“, erklärte der Erzähler.
Auf Kamelen hopsten drei junge Frauen in bunten Klamotten, die orientalisch-billig aus dem Kostümversand anmuteten, gegen den Lauftakt der Tiere in die Manege. Dabei jonglierten sie zuerst mit den Gaben, wobei die Hälfte zu Boden fiel, und sprachen dann nacheinander:
„Look at me, I’m Casper.“
„Look at me, I’m Melchior!“
„Look at me, I’m Balthasar“
– im Chor: „And we are: the three magicians from Las Vegas!“
In der nächsten Sekunde begann eine mitleidserregende Zaubershow, die sich von Sekunde zu Sekunde zum Fremdschämen steigerte, bis alle Schafe, die Hunde und die Hirten pseudomagisch hinfortmagisiert waren. Hinter der Bühne blökten die Tiere allerdings weiter.
Gina war längst der festen Überzeugung, die dümmste Idee ihres Lebens gehabt zu haben.
Die Weihnachtsgeschichte blieb für alle Zeiten mit Stripperinnen und schlechten Eindrücken verbunden. Behutsam dachte sie bereits über einen Religionswechsel nach, um dem christlichen Weihnachten zu entkommen. Irgendwas feiern, was nicht für immer verdorben war.
Kurz bevor the three magicians from Las Vegas den Jesus-Ball wegzauberten, erklang eine Fanfare, gefolgt von der klassischen Zirkusmelodie: Düp düp düdeldüdel düp düp düüüüüdüp.
„Da waren auch Ochs und Esel in dem Stall“, schaltete sich die Stimme wieder ein.
Zwei Clowns, verkleidet als Ochse und Esel, stürmten herein und machten sinnlose Gags zu Autohup-Geräuschen. Sie zogen Münzen aus den Nasen der Kids in der ersten Reihe, manchmal auch nur mega fette Popel, und einem Kind rissen sie fast da Ohr ab bei dem Versuch, einen Blumenstrauß daraus erscheinen zu lassen.
Als ein Clown zu ihnen kam, hob Gina nur warnend die Faust und mit der anderen Hand die leere Glassprudelflasche. Sofort drehte der Spaßmacher ab und hupte dabei erbost.
Das Spektakel näherte sich dem Höhepunkt.
Alle in der Manege knieten nieder. Sogar die Schafe -das angekokelte erschien im Bademantel- und Hirten plus Hunde kehrten zurück. Die schwitzenden Putten schwangen herum wie wässernde Pendel.
Gina fragte sich, ob es nur Schweiß oder vielleicht auch Pippi sein konnte. Niemand würde zunächst den Unterschied bemerken, was da aus der Tunika tropfte.
„Und über der Krippe stand der Stern!“, sprach das Off.
Ein gigantischer Stern leuchtete in der Kuppel auf
Alle machten aaaah und ooooh. Und sogar Gina konnte sich nicht gegen einstellende Besinnlichkeit wehren, trotz des abstrusen Anblicks vor ihnen in der Manege.
Mit einem Poingpling riss das Seil, und das Konstrukt fegte gleich einer titanischen gezackten Abrissbirne einmal durch das Bühnenbild.
„Runter!“ Gina drückte die Köpfe ihrer Liebsten abwärts.
Surrend schoss der Stern knapp über sie hinweg und spießte drei Leute hinter ihnen auf, um weiter zu schwingen und Tod und Verderben zu bringen.
Da brach das Zelt zusammen, und das heilige Pendel des weihnachtlichen Todes schepperte zu Boden.
Die Besucherinnen und Besucher krochen unter der stinkigen Plane hervor wie Ameisen unter Plastikfolie heraus. Auch Gina und ihrer Familie gelang das Entkommen.
„Ey, geilo! Schaut mal! Ich hab Jesus!“ Ausgelassen dribbelte und ditschte Leon mit dem Ball und warf ihn seiner Schwester Phoeby gegen den Kopf, immer begleitet mit den Worten. „Jesus hasst dich! Jesus hasst dich!“
„Hör auf damit, Leon.“ Gina half anderen aus dem Wust heraus und betrachtete das eingestürzte Zelt, aus dem auch die verzweifelten Artistinnen und Artisten krabbelten. Heulend lagen sie sich in den Armen, betrachteten das Unglück, die Clowns hupten unglücklich, und verzweifelten wegen des Fiaskos und finanziellen Ruins. Weihnachten war für sie im Arsch.
Gina überlegte, ob sie die Leute kurzerhand einladen sollte.
Nächstenliebe.
Fremde Menschen bei sich aufnehmen, wie die Bibel es empfahl. Eine große Familie und Unbekannte zu Freunden machen.
Dann dachte sie an ihren Mann und seine glänzenden Augen bei den Szenen mit dem Bethlehem Tittytwister.
Nein, die kamen ihr doch nicht ins Haus.
„Wir kümmern uns gut um Jesus“, rief Gina der aufgelösten Truppe zu und winkte zum Abschied. „Er wird ein guter Junge.“
Und das stimmte.
Ball-Jesus wurde viele Jahre alt und landete stets zu Weihnachten in der Familienkrippe, auch wenn Gatte Lukas betonte, ohne den Bethlehem Tittytwister sei es nicht das Gleiche. Oder die Rothaarige.
Und dann fragte er Gina: „Warum liegt denn da kein Stroh in der Ecke?“
Und Gina antwortete: „Bescher dich selbst.“