… für die besinnlich-besinnungslosen Momente! 😀
Habt herrliche Festtage, Raunächte und das beste 2023, wo gibt! 😀
Sackgesicht
Eine teuflisch-fies-absurd-satirische Kurzgeschichten-Halloween-Weihnachts-Groteske
„Ho, ho, HOSSA!“ – rief Papa Ingolf laut in die Runde und schleuderte den rissigen, angeschmutzten Jutesack übergutgelaunt auf den Boden, dass es staubte und einmal leise rumpelte. Darin war nichts, außer jede Menge zerknüllter Zeitungen und einer Boulekugel, damit es voll und nach Gewicht aussah. Ein wichtiges Accessoire bei seinem roten Weihnachtskostüm, das er stolz trug wie den Polyesterrauschebart und die Mütze; der sich wölbende Bauch hingegen blieb echt. „Seid ihr alle brav gewesen?“, fragte er in die Runde.
Der schlampig angezogene Vampir im altertümlichen Anzug sah ihn verwirrt an. Wobei, es war Opa Ulrich, und der sah immer verwirrt aus. Es bedeutete keine Besonderheit. „Es ist Halloween.“
„Ja, genau.“
„Gehst du als Santa Claus‘ verkleideter Rex Gildo oder als echter Nikolaus?“, hakte das fliegende Spaghettimonster ein. Teenagertochter Lilly hatte ihre langen blonden Haare entsprechend pastahaft gestylt und hielt ein Nudelsieb in der Hand.
„Letzteres. Ja, genau.“ Moderner Glaube macht vor Nichts Halt, dachte Ingolf. Vermutlich würde sich jemand morgen zu „Holy Macaroni“ bekennen und einen Glaubenskrieg von der Nudel brechen.
„Aber du bringst doch Geschenke!“, betonte Sohn Axel, der sich als überlebensgroßes eiskaltes Händchen verkleidet hatte. Die rechte Hand war der Daumen, und im Schritt baumelte der fünfte Finger, geschnitzt aus einer Poolnudel. Bei Jungs im Alter von fünfzehn Jahren war das lustig, wenn auch schräg. Es bot genug Material für dämliche Gags und Witze.
Ingolf fand es scheiße, dass man ausgerechnet an ihm rumnörgelte. Niemand respektierte, dass er überhaupt mit seiner Mischpoke ging.
Zuerst: Von Tür zu Tür mit einer kleinen Schar Grundschulkinder, die seine Frau über den Förderverein Gartenzwergeangeschleppt hatte und die im Wohnzimmer herumgammelten. Sie hatten sich als Zombies verkleidet, die auf ihr Handy starrten, neudeutsch und in Pseudojugendsprech Smombies. Clever. Damit konnten sie ihre Smartphones weiter benutzen und waren an der frischen Luft.
Danach: Zur Party ins Gemeindehaus. Zu Glubscherbowle, Todestanz und guter Laune, zumindest laut Plakat.
„An Halloween verkleidet man sich. Generell. Da steht nirgends was von Horror.“ Ingolf rückte an seiner aufragenden Bischofsnikolausmütze herum. Wenigstens die passte noch perfekt. Das Kostüm spannte leider doch sehr, vor allem über der Plauze.
„Na ja, schon. Aber man bringt keine Geschenke“, klugscheißerte Kumpel Anton, der als Homer Simpson ging, damit er unterwegs Dosenbier saufen konnte, vom Kostüm perfekt gedeckt. Da die Alubehälter aus Frankreich waren, konnte er sie einfach wegschmeißen, zusammentreten, Häuser, Autos, Verkehrsschilder und Leute damit bewerfen – pfandfrei. „Man bekommt was, wenn man auf der Straße ist.“
Du gleich aufs Maul, Verräter, dachte Ingolf. „Süßes oder Saures. Ja, weiß ich doch. Die anderen Kostüme passen mir halt nicht mehr. Der Nikolaus muss ran. Basta. Ich lasse die Grundschulkiddies nicht alleine mit euch Nasen durch die Straßen laufen.“
„Schon mal The Nightmare before Christmas gesehen?“ Seine Frau Ilse, als tote Meerjungfrau ohne Schweif verkleidet und damit immer noch dicht am Menschenoriginal, wie Ingolf liebevoll-verletzend gesagt hatte, steckte sich eine Salzstange mit Algengeschmack in den Mund. Sie lebte ihre Rolle.
„Ja. Das ging aber ganz anders. Da wurde der Weihnachtsmann entführt und ersetzt.“ Er legte die Fingerspitzen der Rechten auf den Bauch. „Ich bin der Besucher aus der anderen Saison. Jetzt geht der Nicki Graus auf Tour!“
„Und du sackst ein? Das ist Wilderei“, stellte Lilly fest.
„Da hat er recht! Das wird die alten Mächte erzürnen. Du wirst leiden!“, orakelte die Hexe, in die sich Oma Hildegard verwandelt hatte. Die Warzen waren allerdings echt, weswegen sie immer als Hexe durchging, wie Ingolf fand. Auch geruchlich. Und manchmal würde er sie gerne verbrennen. „Sie werden denken, dass du die Geschenke an die Dunkelheit für Weihnachten abzweigst.“
„Nimm wenigstens eine Kettensäge mit. Oder male dir einen Kopfschuss oder so was auf. Damit es nach Horror und Halloween aussieht. Kunstblut aus dem Sack, so was halt“, verlangte Axel. „Das ist sonst uncool. Du siehst aus, als wärst du zu blöd, um dir die Jahreszeiten zu merken.“
„Nix da. Ich bin der Nikolaus.“ Ingolf wuchtete den Sack über die Schulter. „Lebt damit. Und jetzt ziehen wir los. Ist dunkel draußen.“
„Mal sehen, wie lange du noch“, wisperte Hildegard ihnen nach, aber so laut, dass sie es alle hörten. Ein Hexenwispern eben. Mehr ein genuschelter Fluch. „Die alten Mächte! Die alten Mächte werden dich strafen!“
Draußen auf der Spielstraße scheuchten Ingolfs Familie als Aufsichtspersonen die Kindergartensmartphonezombies immer von Haus zu Haus, wo sie nach dem Klingeln immer artig auf ihre Handys starrten und grunzten, bis die Bewohner das Süße rausrückten.
Ingolf, der die Beute in seinem Sack verwahrte, damit sie am Ende des Abends gerecht unter den Smombies aufgeteilt werden konnte, stand auf dem Trottoir und steckte sich eine Kippe an.
Anton zog eine Bierdose aus dem Bauchgurt, zwei weitere Gürtel trug er gekreuzt über der Brust. Eine ganze Palette hatte er verbaut, zu Ehren von Homer Simpson. „Halloween. So geil.“ Er öffnete das Getränk und zog es in einem Zug weg. „Nie gedacht, dass von den Amis mal so was Gutes kommt.“ Ein lautes Rülpsen dröhnte aus seinem Mund.
Eine Dose löste sich durch die Vibration aus der Halterung und plumpste auf die Straße, kullerte auf die Fahrbahn.
„Das ist meine!“ Ingolf wandte sich rauchend um, der beißende Qualm zog ihm in die Augen und trieb ihm die Tränen hervor. Er bückte sich blind, die behandschuhten Finger schlossen sich nach etwas Tasten um das Weißblech. „Der Nikolaus will…“
Helle Scheinwerfer erfassten ihn, wie ein Reh starrte er in die Vierfachscheinwerfer. „Spielstraße, du Schlechtwichswichtel!“
Ein Quietschen erklang – und dann geschah der Einschlag.
Ingolf flog gefühlt kilometerlange durch die Luft und landete hart auf dem Boden. Benommen blieb er liegen und öffnete erst einmal das Bier. Sprudelnd und zischend floss es heraus, und er nahm einen langen Schluck, während er die Sterne über sich betrachtete. Sollte der Fahrer ruhig denken, es sei ihm was Schlimmes passiert.
„Ich hab ihn“, erklang eine raue Stimme. Eine gruselige Eishockeymaske mit Blutspritzern schob sich in sein Sichtfeld. „Voll erwischt, das Sackgesicht!“
Ingolf prostete dem Mann zu. „Und ich zeig dich an, Kollege.“
Eine Clownsfratze kam von der anderen Seite dazu. „Jepp. Das ist der Nikolaus.“ Mit seinen langen Schuhen trat er dem Liegenden in die Seite, dabei quietschte es lustig. „Schnorrer!“
„Aua. Was soll das denn?“ Ingolf blickte zwischen den Gestalten hin und her. „Das gibt eine fette Extraklage, die…“
Ein Zombie gesellte sich dazu. „Fressen?“, fragte er glücklich und beugte sich nach vorne, die fleckigen, aber sehr scharfen, spitzen Zähne kamen zum Vorschein.
„Warte noch. Vielleicht will er erklären, wieso er unsere Geschenke klaut“, hielt ihn die Eishockeymaske zurück.
Als Vierter stieß ein Werwolf zur Gruppe. „Hat jemand was zu essen?“
„Leute, ich bin angefahren worden!“ Ingolf wollte sich aufrichten, aber ein riesiger Clownsschuh setzte sich auf seine Brust und hielt ihn unten. Dieses Mal klingelte es.
„Hat jemand den Boss gesehen?“ Der Clown sah sich um und erinnerte an ein geschminktes Erdmännchen aus einem Zirkusalbtraum. „Oder die Königin?“
Ingolf fragte sich, wo seine Frau und die übrigen der Gruppe waren, ganz zu schweigen von seinem biersaufenden Kumpel Anton Simpson. „Okay, ihr Spacken. Ihr ruft jetzt sofort…“
Der Werwolf schnappte sich den Sack und schüttelte ihn aus. Süßigkeiten der Kids, zwei Bierdosen, Schokogoldmünzen und noch mehr Naschi regneten heraus, die gemeinsam mit den zerknüllten Zeitungsseiten auf ihn einprasselten. „Dieb!“
„Das ist nicht von mir! Ich habe die nur…“ In dem Moment rollte die Boulekugel aus der Öffnung und knallte ihm in den Schritt. Ingolf verstummte ächzend.
„Bringen wir ihn um. Die Beweise sind eindeutig“, brummte der Werwolf.
„Fressen!“, frohlockte der Zombie.
„Einfach so?“ Die Eishockeymaske hob ein langes Küchenmesser. Er war unschlüssig. „Oder lieber so?“ Die andere Hand hielt plötzlich eine Kettensäge. „Aber … das vielleicht?“ In der Linken hielt er eine angeschliffene Helene-Fischer-Schallplatte. „Ich hab auch noch Modern Talking. Oder Gangster-Rap von Müttersöhnchen?“
Der Clown lachte schrill und hob einen riesigen Holzhammer, reckte ihn empor, als wäre er der irre Thor mit seinem Ersatz-Mjölnir. Das getrocknete Blut, die Haarsträhnen und ein abgebrochener Zahn an der Trefferfläche verhießen nichts Gutes. „Tod dem schnorrenden Nikolaus! Er hat die Regeln gebrochen!“
„Fressen!“, juchzte der Zombie.
„Ich will sein Gesicht“, machte die Eishockeymaske klar. „Damit steche ich Michael Myers aus! Nicht mit einem Messer, sondern mit dem Gesicht. Endlich weg mit der Maske. Ey, das stinkt hier wie in einem Iltisbau, in den ein Stinktier gefurzt hat, gestorben und darin verwest ist.“
Ingolf hatte beschlossen anzunehmen, dass er angefahren wurde und ohnmächtig auf der Straße lag. Er halluzinierte oder träumte. Eine echte Halloween-Gehirnerschütterung. „Ja, macht nur“, erlaubte er daher locker. Hauptsache es war schnell vorbei.
Das Quartett sah ihn synchron hoffnungsvoll an. „Ehrlich?“, riefen sie erwartungsselig im Chor.
„Du leugnest nicht?“, vergewisserte sich der Clown und hupte erregt schnell.
„Nein. Ich bin der Nikolaus, habe mir eure Gaben geschnappt und wollte sie an Weihnachten verschenken“, gestand er leichthin. „Ihr habt mich erwischt.“
„Fressen!“, heulte der Zombie – und biss Ingolf mitten ins Gesicht.
Der Schmerz fühlte sich erstaunlich echt an, und er schrie auf.
„Ich habe gesagt, sein Gesicht gehört mir!“, brüllte die Eishockeymaske und schubste den Zombie zur Seite, der die Nase in Gänze abbiss und schnell schlucken wollte, bevor er sie zurückgeben musste.
„Endlich“, jaulte der Werwolf und versuchte, Ingolf einen Arm auszureißen. „Oberkeule! Lecker!“
Ingolf wunderte sich, wie verdammt weh ein Traum sein konnte und brüllte seine Pein heraus. „Aufhören! Das geht so nicht!“
In der Zwischenzeit prügelten sich die Eishockeymaske und der Zombie um die Nase.
Der Clown lachte schrill. „Woran erkennt der Nikolaus, wo ein Leprakranker wohnt?“ Er hupte wieder. „Es stehen Füße statt Stiefel draußen!“
Der Werwolf ließ vom Arm ab, der daraufhin seltsam verbogen im Gelenk hing. „Hast recht. Ich will dein zartes Fleisch gegen meinen ersten Hunger! Deine Kehle soll es sein!“ Er packte in den Bart, um ihn zur Seite zu ziehen – und hielt ihn abgerissen in der Hand. „Was ist denn…?“ Er schnupperte daran. „Polyester?“ Er stieß ein Heulen aus. „POLYESTER? Du bist nicht der Nikolaus!“
Eishockeymaske und Zombie hielten inne. „Was?“, machten beide bestürzt.
Die Hupe des Clowns erklang sehr traurig. „Er hat auch die Antwort nicht auf meine geschmacklose Bösewichtfrage mit den Stiefeln gekannt. Das hätte es mir sagen müssen.“
„Das ist ein Betrüger?“ Die Eishockeymaske warf wütend das Messer weg. „Einen normalen Menschen kille ich nicht. Das Sammelalbum ist schon voll.“
„Fressen“, sagte der Zombie entschuldigend und würgte die Nase hoch. Tatschend und mühselig drückte er sie zurück in Ingolfs Gesicht.
„Ich bring ihn zurück.“ Die Eishockeymaske verschwand, ein Motor startete. „Geht mal zur Seite. Ich überfahre ihn nochmal.“ Die drei Gruselgestalten wichen zur Seite. „So eine Enttäuschung.“
Noch bevor Ingolf Einspruch erheben konnte, flammten die vielen Scheinwerfer auf. Das Röhren flog heran, dann wurde er wieder getroffen und durch die Luft geschleudert.
Als er wieder etwas sah, lag er kopfüber im Vorgarten der Paschulkes. Alles schmerzte. Den rechten Arm konnte er nicht benutzten, und aus seiner Nase, die wir Feuer brannte, lief warmes Blut.
„Papa!“ Lilly eilte neben ihn. „Alles in Ordnung?“
„Krankenwagen kommt gleich“, sagte Sohn Axel.
„Was ist passiert?“, stöhnte Ingolf und betastete mit der linken Hand sein blutiges Gesicht. Sein Riechorgan war Matsch, ein Knubbel, ein unförmiges Etwas.
„Du musst von einem verdammt schnellen Auto angefahren worden sein. Keiner hat es gesehen. Es hat gescheppert, dann warst du weg und dann habe ich dich bei den Paschulkes gefunden“, sagte Lilly atemlos. „Shit, deine Nase! Die sieht aus wie…“
„Wie von einem Zombie abgebissen, ausgespuckt und angeklebt.“ Ingolf richtete sich unter Schmerzen auf. Eine Vogelscheuche grinste auf ihn herab, die in Paschulkes Garten stand. Jack O Lantern verhöhnte ihn. Ein echter Albtraum vor Weihnachten.
Er war wieder zu Hause, in der Spielstraße. Die Smartphonezombiekinder starrten auf ihre Handys, die Straßen waren voller niedlicher Spukgestalten.
So dachten die Menschen.
Aber Ingolf wusste es besser.
Er war in der Anderswelt gewesen, als Nikolausbetrüger aufgeflogen und zurückgeschickt worden. Zwischen den verkleideten Leuten wandelten echte Monster. Monster, die sehr, sehr böse sein konnten.
Der Rettungswagen hielt mit Sirenen und Blaulicht an, die Sanitäter sprangen heraus und machten sich sofort lindernd über ihn her. Die Nase jedoch war unrettbar zermatscht. Sie bedeckten das Desaster mit einem Verband.
Ingolf richtete sich auf. „So. Gehen wir los.“
„Was?“ Anton rülpste ihn an und reichte ihm ein Trostbier. „Du siehst aus wie…“
„Ein Horrorlaus. Passt.“ Er klemmte es unter den Arm, pflückte sich ein zweites Bier, öffnete es mit der intakten Hand und exte es. „Ich bin Horrorlaus Sackgesicht. Mein Kostüm ist perfekt.“ Dann lachte er irre, und er könnte schwören, dass ein leises Clowns-Huup-huup von irgendwo aus der Straße erklang. Er warf die leere Dose in den Mülleimer und nahm sich die zweite vor.
So viele Süßigkeiten wie an diesem Abend hatte die Gruppe noch nie gesammelt, und alle wussten, dass sie es Ingolfs echtem Aussehen verdankten.
Die zerbissene Nase trug er mit Stolz, wenn er in der Weihnachtszeit ehrenamtlich als Nikolaus unterwegs war.
Und er erzählte jedem, dass er der einzige heilige Mann war, der den gemeinsamen Angriff eines Werwolfs, eines Zombies, eines Horrorclowns und eines irren Maskenkillers überlebt hatte. Plus zweimaliges Anfahren von einem Auto. Alles für Weihnachten und leuchtende Kinderaugen!
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