Markus Heitz

„DÜSTERE SCHNITZELLEGENDEN“ – WGT Story 2024

… und hier wie versprochen die Kurzgeschichte, die ich am Samstag, 12 Uhr, in der Peterskirche vorgelesen habe, eigens noch schnell geschrieben für das WGT 2024 (unredigierte & unlektorierte Fassung). Damit das „Schnitzel“ besser zum Event passt. 😀
Habt Spaß damit!
————-

Kurzgeschichte WGT 2024

DÜSTERE SCHNITZELLEGENDEN

von

Markus Heitz

inspiriert von „Schnitzel Surprise“, TB, Knaur Verlag 

Die Umbauphase auf der Bühne des Heidnischen Dorfes sorgte für den stets gleichen Effekt: Schlagartig hatten alle Durst. Vor allem bei dem schönen Wetter, wenn der Staub in die eh trockenen Kehlen fand und die Sonne brannte, was zu unvermeidlichen Mustern auf der überwiegend bleichen Haut führte: Netzraster, Sonnenbrillenkontur, Hutrandbrand. Und das berühmte Schmuckbleiche-Negativ dank Fingerringen und Halsketten.
Die Schwarzgekleideten, mal leger, mal herausgeputzt, mal im Mittelalteroutfit oder auch mal nur im Lendenschurz, drängten zu den umliegenden Getränkeständen.
Außer Mira, Lukas und ihre kleine Gruppe, die extra aus Österreich zum WGT angereist waren. Sie hatten Hunger.
Schnell schlugen sie sich in den Seitengang durch, wo der Andrang nicht ganz so groß war, und steuerten auf die Langos-Bude zu. Handbrot, Rostwurst, Schaschlik, Kräuterpfanne und so gut wie alles andere waren schon aus, der Nachschub an den anderen Ständen stockte.
Aber auch beim Langos hieß es: Schlange stehen.
„Voll schade, dass es kein Schnitzelsemmel gibt“, sagte Lukas, als sie endlich vorgerückt waren. „Das wär’s jetzt.“
„Schnitzel geht immer“, stimmte Mira zu und lachte. „Wir sind voll die Klischee-Ösis.“
Der schnauzbärtige Langos-Verkäufer im Feinrippunterhemd stockte hinter dem Tresen in der Bewegung. „Ihr wisst nicht, warum es keine Schnitzel im heidnischen Dorf gibt, oder?“
„Jö, was kommt jetzt?“, sagte Lukas lachend.
„Ein Langos, bitte“, versuchte Mira zu bestellen. Die nächste Band machte sich auf der Bühne bereit, Soundcheck lockte verheißend.
Doch der Mann sah sie durchdringend an, als wäre er ein Vampir, der sein Opfer mit seinem Blick lähmen wollte. „Ihr wisst es wirklich nicht“, flüsterte er geheimnisvoll. „Sie wissen es nicht“, sagte über die Schulter zu seinen zwei Mitarbeitern, die Teig kneteten und frische Fladen zubereiteten.
„Erzähl es ihnen, solange sie auf Langos warten“, empfahl die Kneterin, und Mehl stob auf, der Endgegner von schwarzen Outfits, gleich neben Puderzucker am Mutzenstand. „Dauert ein bisschen.“
„Also. Es gibt einen sehr speziellen Grund.“ Der Verkäufer lehnte sich nach vorne und stützte sich auf den mehligen Unterarmen ab. „Vor vielen Jahren hatte eine Schnitzelbräterey ihren Stand genau dort“, er zeigte neben das Mokkazelt, „und die Leute kamen in Scharen. Es waren die besten Schnitzel weit und breit.“ Er machte ein düsteres Gesicht und richtete den Walrossschnauz. „Aber niemand wusste, woher der Mann das Fleisch bezog. Nach einem langen, heißen Tag trank er zu viel von dem Teufelsbier. Da gab er damit an, dass er einen Dämon beschworen hätte. Ein Dämon, den er wie Faust mit einem Pakt gebunden habe.“
„Und der machte ihm die Schnitzel?“, kicherte Lukas. „Hieß der Schnizifer?“
Der Verkäufer schüttelte den Kopf und behielt den Ernst bei. „Das Wesen aus den schlimmsten Kreisen der Höllen beschaffte ihm das Fleisch! Das zarteste, ungewöhnlichste Fleisch, das man sich vorstellen kann. Es war so mürbe und weich, dass er es nicht zu klopfen brauchte. Es gelang immer.“ Seine Augen verschmälerten sich. „Dann wurden die Morde in der Stadt bekannt. Sehr, sehr viele Morde. Grausame Zerstückelungen. Die Polizei hatte die Nachricht darüber zurückgehalten, um besser im Verborgenen nach dem Wahnsinnigen fahnden zu können. Es sickerte trotzdem durch.“
„Wie viele Opfer gab es?“, wollte Mira gebannt wissen.
„Mehr als ein Dutzend. Alle sauber ausgebeint. Doch nicht alles hatte der Mörder mitgenommen“, erzählte der Langosmacher wie ein Märchenonkel im Nebenerwerb. „Schließlich tauchte die Polizei im HeiDo auf. Und sie machten den Laden der Schnitzelbräterey dicht. Der Mann hatte Wahnvorstellungen, wie sich herausstellte. Es gab niemals einen Dämon.“
„Oh, fuck. Der hat sie alle selbst umgebracht“, begriff Mira und hielt sich eine Hand vor den Mund. Vor Ekel und Überraschung.
„Und sich das Schnitzelfleisch direkt mitgenommen. Ja.“ Der Langosbäcker sah sie verschwörerisch an, die Schnurbarthaare vibrierten. „Seitdem kann man Mokka trinken, ohne dass es nach heißem Butterschmalz riecht. Aber der Mörder lag eines morgens tot in seiner Zelle. Und bestimmte Stellen in seinem Körper fehlten.“ Der Mann deutete an sich herum. „Jene, aus denen man Schnitzel machen kann.“
Lukas lachte. „Nicht schlecht, die Story. Schön erfunden.“
„Ja, hat er“, sagte die Teigkneterin und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
„Sag ich doch“, erwiderte Lukas besserwisserisch.
„Das war nämlich ganz anders.“ Die Frau schob den Mann zur Seite, der an ihrer Stelle das Arbeiten übernahm. Sie klatschte einmal in die Hände, und es stäubte weiß. Instinktiv wichen die Gruftis davor zurück. „Es gab einen geheimen Zusammenschluss von Standbetreibern auf dem HeiDo.“
„Und eine Schnitzelbräterey?“, fragte Lukas.
„Und eine Schnitzelbräterey. Gleich vorne am Eingang. Jeder musste daran vorbei, und es roch unglaublich lecker.“ Sie formte einen Kreis mit ihren Zeigefingern in der Luft. „Der Zusammenschluss der Fressbuden markierte jene Besucher heimlich, die sich über das Angebot beschwerten. Zu teuer, zu wenig, zu kalt, zu heiß, nicht durchgegart“, zählte sie auf. „Ihr kennt das ja.“
„Öh. Puh. Also… Würde ich nie tun“, räusperte sich Mira verlegen.
Lukas war skeptisch. „Wie soll das denn gehen?“
„Mit UV-Farbe. Am Wechselgeld. Oder an der Serviette, sodass man die Nörgler leicht mit einer Lampe erkennen konnte. Nachts wurden sie vom Gelände gepflückt. Betrunken und erschöpft vom Feiern. Eine leichte Ernte“, berichtete sie und wurde immer leiser. „Aus ihnen wurde das berühmte Sünderschnitzel. Der Renner! Bis sie aufgeflogen sind.“
„Wegen der Morde?“
„Nein. Verstöße gegen das Hygienegesetz. Das andere hat man erst hinterher erfahren.“
Die Dritte im Stand drängelte sich nun in den Vordergrund. „Läuft. Euer Langos kommt gleich. Aber glaubt das alles nicht“, verkündete sie leichthin und winkte ab. „Es war nämlich der Fluch!“
„Welcher Fluch?“
„Der Fluch der Massentierhaltung. Die Wenigsten wissen davon, aber: Jedes 666. Schwein aus einem Mastbetrieb wird mit einem Fluch belegt, der die Verzehrer treffen wird. Irgendein tierlieber Dämon steckt dahinter, aber den Namen habe ich vergessen.“ Sie überlegte kurz. „Letztes Jahr wurden 43,8Mio Schweine in Deutschland geschlachtet. Das macht 65.765 Dämonenschweine, die Flüche über ihre Esser bringen.“
„Krass“, entfuhr es Lukas.
„Und erklärt einiges“, fügte Mira hinzu. Sie bewunderte den Einfallsreichtum der Crew, was die Storys anging.
„Die Schnitzelbräterey im HeiDo fand es lustig, nur 6-6-6-Schweine zu kaufen, um sie zu Schnitzeln zu verarbeiten. Sie hielten es für den perfekten Marketing-Gag. Die Gruftis deckten sich damit ein und glaubten nicht an die Macht des Fluchs.“ Ihr Gesicht verzog sich plötzlich zu einer Fratze, und sie simulierte peinvolles Sterben, sank hinter dem Tresen zusammen und verschwand. „Bis es die Ersten erwischte!“, redete sie mit Grabesstimme aus dem Off. „Sie kamen nach der Rückkehr vom WGT auf grausame Weise ums Leben.“
„Jö! Is klar“, rief Lukas und lachte.
Theatralisch reckte sie eine Hand empor und zog sich in die Höhe. „Im Jahr darauf wurde die Schnitzelbräterey Opfer eines Brandes, zusammen mit den Betreibern. Man hat sie darin eingesperrt und den Flammen übergeben. Als Opfer für den Schweinedämon, um ihn zu besänftigen“, hauchte sie; dabei wich sie langsam mit Overacting und Gesichtskirmes vom Tresen zurück. „Recherchiert das nach. Oder habt ihr gedacht, dass die gelegentlichen Besucherrückgänge Zufall wären? Wer tot ist, kauft keine Karte.“ Sie tippte sich gegen die Schläfe. „Denkt mal drüber nach.“
Der schnurbärtige Verkäufer hatte in der Zwischenzeit die neuen Langosfladen ins aromatisierte Öl gleiten lassen, und der Brotsnack buk knisternd und knuspernd aus. „Und wenn jemals wieder Schnitzel im HeiDo verkauft werden, seid auf der Hut! Wer weiß, was dahintersteckt?“ Er wackelte mit der Hand. „Aber es kann auch einfach nur unfassbar lecker schmecken. Und harmlos sein. Jetzt wisst ihr Bescheid.“
Das wussten Mira, Lukas und die restliche Truppe.
Und sie wünschten, sie hätten die Storys niemals gehört. Schnitzel war von nun an für immer mental verseucht.
Nacheinander reichte der Mann die frisch goldgebackenen Teigfladen über den Tresen. „Bitte sehr. Das ist viel harmloser.“ Er zwinkerte Mira zu und fuhr sich über den Schnauz. „Ich mag Wiener Schnitzel übrigens.“
„Kalb“, sagte Lukas fachmännisch.
„Nein. Mit Wienern. Und ich meine nicht die Würstchen.“ Dann lachte er und wandte sich den nächsten Kunden zu.
Die Österreicher bissen reihum in das warme, hefige Langos und seufzten. Endlich essen.
„Was für ein geniales Aroma! Wie macht der das?“, wunderte sich Lukas. „Bei uns schmeckt es nicht so gut.“
„Vielleicht das Fett? Habt ihr nicht bemerkt, wie gut das gerochen hat?“ Mira wandte sich zum Stand und entdeckte auf dem Dach die handgeschriebene Tafel: „ausgebacken in original Hexenschmiere“.
Einhändig googelte sie.
„Hexenschmiere, auch Hexensalbe. Gemacht laut Hexenhammer des Jahres 1486 aus … den Extremitäten …von … Kindern“, las sie vor und wurde dabei immer langsamer. Sie schauderte, gruselte und ekelte sich gleichzeitig.
„Ich mag eigentlich keine Kinder“, sagte Lukas grinsend. „Aber so schon.“
„Na, servus. Noch so ein WGT-Gag“, sagte jemand aus ihrer Gruppe, während sie zurück zur Hauptbühne gingen, und man biss reihum vom Hefesnack ab. „Wie Teufelsbier. Oder diese Fruchtweine in Glaskolben, die Zaubertranknamen haben.“
Das hoffe Mira inständig – und sah unschlüssig auf ihr Langos.

***

(Foto: Alice Stern)